In den kleinen Ecken der Sprache verbirgt sich eine reiche Vielfalt, die weit über Wörterbücher und Grammatik hinausreicht. Dialektologie, die Wissenschaft der regionalen Sprachvariationen, öffnet die Tür zu einer faszinierenden Welt voller Geschichten und Identitäten.
Eine Reportage von Pascal Mewes und Yannick Gerber

Ritigampfä, giräzele und schouklä – all dies sind Ausdrücke für die gleiche Aktion. Selbst innerhalb eines Dialektes existieren mehrere Wörter für ein und denselben Begriff. Doch wie haben sich diese im Verlauf der letzten 70 Jahre entwickelt? Gab es Veränderungen oder sind einige Begriffe sogar ganz ausgestorben? Diesen dialektologischen Fragen sind wir nachgegangen. Dafür haben wir in den Kantonen Bern, Basel, Zürich und Luzern rund 50 Personen verschiedenen Alters nach deren Wörtlichkeiten für «schaukeln», «Bonbon» und «Schluckauf» befragt. Diese Begriffe stammen aus dem kleinen Sprachatlas der deutschen Schweiz (KSDS), welcher die Bezeichnungen der Begriffe zwischen 1940 bis 1960 in der ganzen Schweiz erfasst hat. Der Tag beginnt um 7:30 Uhr am Berner Bahnhof. Mit leichter Nervosität und einem Kribbeln im Bauch haben wir vor, die Vielfalt der Schweizer Dialekte aufzuspüren und zu erfassen. Unsere Ziele sind klar. Wir wollen die Variationen in der Aussprache der Begriffe "Schluckauf", "schaukeln" und "Bonbon" in den Kantonen Bern, Basel, Zürich und Luzern erkunden.
Dialektologie, aber was ist das eigentlich?
Stell dir vor, du bist auf einer Reise durch Raum und Zeit, wo jedes Wort, jeder Klang und jedes grammatikalische Merkmal dich in eine neue Welt führt. Genau das ist die Welt der Dialektologie, ein Teilgebiet der Sprachwissenschaft, welches die Sprachlandschaften erkundet und unsere gesamte Umgebung prägen.
Die Dialektologie ist wie eine Suche nach dem Schatz, bei der Linguisten die unentdeckten Reichtümer der Sprache erforschen – von den alten Dorfdialekten bis hin zu den neuen Sprachvariationen der modernen Städte.
Dialekte sind die Spiegel unserer Herkunft, unserer Geschichte und unserer sozialen Bindungen. Wir benötigen unseren Dialekt täglich in unserem Leben, er prägt unseren Ausdruck und verleiht unserer Kommunikation Farbe und Tiefe. Die Dialekte entwickeln sich weiter und vermischen sich oft, wodurch neue Variationen entstehen. In dieser ständigen Veränderung liegt die Dialektologie: Sie ermöglicht es uns nicht nur, die Vergangenheit zu verstehen, sondern auch die Zukunft unserer Sprache zu gestalten. Dies ist die Welt der Dialektologie, eine Welt, die es zu entdecken gibt.
Adrian Leemanns Studie zur Veränderung der Sprachlandschaft
Adrian Leemann ist Professor für Sprachwissenschaft mit Schwerpunkt Soziolinguistik an der Universität Bern.
Welche Themen gebiete interessieren dich am meisten?
Sehr interessant finde ich die Phonetik, die lautliche Seite
der Sprache und die Forensik - er schreibt
gerade eine Einführung zum Thema forensische Phonetik für Uni-studierende.
Die ganze Anwendungsseite gefällt mir am besten,
was auch von Vorteil ist, da ich mehr Anwenden muss
als theoretisch zu arbeiten.
“Mir gefällt die direkte, forensische Anwendung der Sprachwissenschaft”
meint Adrian Leemann.

Gibt es aktuelle Forschungsprojekte, an denen du arbeitest?
Ja, gerade arbeiten wir an einem Sprachatlas,
bei welchem wir die
Aussprache analysieren, und so neue Dialektlandschaften machen.
In den 50er Jahren ging man oft zu Bauern nachhause,
um diese zu befragen, da sie zu dieser Zeit über
Generationen am gleichen Ort lebten. So sind die aktuellen
Atlanten sehr veraltet und wie wir wissen hat sich in
den letzten 50- 60 Jahren die Sprache deutlich verändert.
Auf dieser Seite sind die historischen Karten zu sehen,
und man sieht gut, dass man damals im Raum Bern
«schlifschuene» und «schlittschuefahre» gesagt hat.
Im Kanton Graubünden war es «Schliffsele» und
im St. Gallischen haben damals schon einige «schlöfere» gesagt.
Wir haben es in drei Generationen aufgeteilt,
die alten Karten, Generation Ben Thurnheer
und Generation Luca Hänni.
Es ist erstaunlich, wie es in den letzten 80 Jahren verändert hat,
heute sagen die meisten Berner/innen nur noch «schlöfle».
Es ist die Diversität, die es ausmacht,
beispielsweise wurden für Sommersprossen im Jahr 1950 noch
viel mehr verschiedene Begriffe gebraucht, heute sagen
die meisten nur noch «Summersprosse».
Man kann gut beobachten, dass sich die Lautungen oder die Grammatik
immer wie mehr verdeutschen. Uns interessiert es dann auch,
was genau der Grund für diese Veränderung ist, ob es daran liegt,
dass die Leute mobiler wurden, oder sie mehr Medien auf Standard konsumieren.
Grob gesagt ist dies eigentlich die Soziolinguistik.
“Man kann gut beobachten, dass sich der Wortschatz immer mehr verdeutscht”
so Adrian Leemann.
Grammatikalische Konstruktionen, wie beispielsweise “als ich ein Kind gewesen bin”, seien im Gegensatz zum Wortschatz superstabil. Die Form der Sprache sei gegeben durch Lautung, Vokal, Konsonanten und Grammatik, und diese Form sei relativ stabil, erklärt uns Leemann.

Ein Tag, vier Kantone, drei Wörter
In den Strassen der Berner Altstadt begegnen wir den freundlichen Berner*innen, die uns an diesem frühen Freitagmorgen mit einem breiten Lächeln begrüssen. Wir fragen Passantinnen und Passanten, ob sie eine Minute Zeit für uns haben, um uns die Begriffe in ihrem Dialekt vorzusprechen. Wir hören gespannt zu, als sie uns erklären, wie sie die Wörter aussprechen. Jedoch rechnen wir damit, dass viele uns am Morgen abweisen, da sie noch nicht die Lust aufbringen können, uns eine Antwort zu geben.
Unsere Reise führt uns dann weiter nach Basel, eine Stadt voller sprachlicher Vielfalt. Als wir in Basel ankommen, ist es auch schon 10:00 Uhr. Die Leute sind langsam wach und voller Freude in den Tag gestartet. Hier erleben wir eine faszinierende Mischung aus deutschen, französischen und schweizerdeutschen Einflüssen. Da Basel eine Grenzmetropole ist, hören wir aber auch oft "We don't speak German". Dies hält uns jedoch nicht zurück, und wir führen unsere Umfragen fort. Die Basler*innen freuen sich und beantworten unsere Fragen ohne zu zögern. Für "Schaukeln" hören wir zum Beispiel oft die Begriffe "gaagele" und "gygampfe". Dies zeigt uns wieder einmal, wie einzigartig und vielfältig diese Stadt in sprachlichen Variationen sein kann.
In Zürich geht es dann weiter, wo wir um 12:30 Uhr ankommen. Hier erleben wir die Eleganz und das Selbstbewusstsein der Zürcher*innen, während sie uns ihre einzigartige Aussprache unserer Wörter mit Freude erklären. Für die Begriffe "Bonbon" hören wir oft "Zältli", und für "Schluckauf" "Hitzgi". In den belebten Strassen der Innenstadt hören wir neben unseren befragten Worte auch die Vielfalt der Zürcher Mundart.
Der Tag endet schliesslich in Luzern. Mittlerweile ist es Nachmittag, und die ersten Leute beginnen Feierabend zu machen und freuen sich aufs Wochenende. Da die Luzerner*innen so gut gelaunt sind, vergeht die Zeit dort wie im Flug. Wir bemerken jedoch während unserer Umfrage, dass viele dieselben Begriffe wie in Zürich verwenden. Daraus können wir schliessen, dass der Dialekt der Zentralschweiz langsam von der Metropole verdrängt wird.

Die Veränderung der Sprache in den letzten 70 Jahren
Unsere Befragungen zeigen im Vergleich zu den KSDS-Karten einige Veränderungen in den Bezeichnungen. Auffällig ist, dass es in der ersten, also der jüngeren Altersgruppe meist mehr Bezeichnungen für den gleichen Begriff gibt als in den älteren Altersgruppen. Es handelt sich also bei der jüngeren Generation um eine weniger einheitliche Sprache. Ein möglicher Grund dafür ist, dass die Menschen durch die sozialen Medien von aussen beeinflusst werden, was zu einer Veränderung der Wortwahl führt. Zudem sind in jüngeren Generationen deutlich mehr Nationalitäten vertreten, was zu einer zusätzlichen Durchmischung der Dialekte führt.
Schluckauf
Das Wort «Schluckauf» hat sich nicht so stark verändert. Es wurden früher ähnliche Bezeichnungen verwendet wie heute. Oft wurden die Begriffe «Gluxi» und «Hitzgi» genannt. Jedoch wurde auch vermehrt das Wort "Schluckuf" genannt, welches sich vom hochdeutschen Schluckauf ableiten lässt. Gut zu sehen ist, dass es in Bern, Basel und Zürich fast genau gleichgeblieben ist, hingegen im Kanton Luzern sagen 90% der Probandinnen nur noch "Hitzgi". Vor 70 Jahren sagten im Kanton Luzern noch ca. 90% der Probandinnen "Hixi". Daraus können wir schliessen, dass das vom zürichdeutschen Dialekt abstammenden "Hitzgi" Luzern eingenommen hat und es sich so verändert hat. Mögliche Gründe dafür könnte die Mobilisierung oder die Digitalisierung sein. Mit Mobilisierung meint man, dass die Bewohner von Zürich vermehrt nach Luzern gezogen sind und den Dialekt mitgenommen haben und ihn dann über die Generationen hinweg weitergegeben haben.
Bonbon
Das Wort «Bonbon» ist interessant. Hier gibt es schon einige Begrifflichkeiten mehr für dasselbe Wort. Im Kanton Bern und Basel hat es sich gar nicht verändert, alle befragten Proband*innen haben "Täfeli" gesagt, genau wie vor 70 Jahren, bereits damals sagten alle im Raum Bern und Basel "Täfeli". Zu beobachten ist, dass es in Luzern und Zürich schon viel mehr Begrifflichkeiten gibt. In Luzern sind die drei am häufigsten genannten Begriffe: "Tröpsli", "Zältli" und "Täfäli". In Zürich war es "Zältli" und "Bonbon", die vermehrt vorgekommen sind. Daraus konnten wir schliessen, das Luzern sich doch noch einigermassen mit dem Begriff "Tröpsli" durchsetzen kann, der schon vor 70 Jahren verwendet wurde. Wie schon beim "Schluckauf" kann man jedoch gut beobachten, dass Luzern immer mehr von Bern- und Zürichdeutsch eingenommen wird.
In Zürich wurde auch vermehrt "Bonbon" genannt, damals sagte man dies im Kanton Zürich nicht. Ein möglicher Grund für diese Veränderung könnte sein, dass Zürich an der Grenze zu Deutschland liegt und immer mehr Deutsche in die Schweiz immigrieren und so das hochdeutsche Wort verbreitet wird.
Schaukeln
Das Wort «schaukeln» hat sich genauso wie das Wort «Schluckauf» in den letzten 70 Jahren nicht so stark verändert. Die Bezeichnung «ritiplampe» wird eher von älteren Generationen benutzt. Diese Begrifflichkeit wird in der Altersgruppe 15 bis 30 nicht mehr verwendet. Das liegt vermutlich daran, dass sich die Bezeichnung des Wortes in den letzten Jahren verändert hat und man jetzt, wie unsere Ergebnisse zeigen, am Begriff «ritigampfe» festhält. In der ersten Altersgruppe nannte jemand das Wort «schoukle». Es ist gut erkennbar, dass dieses Wort aus dem Hochdeutschen übernommen wurde. Dies ist jedoch kein Einzelfall. Weitere Beispiele für eine solche Adaption ist das Wort «Bombom» vom Schriftdeutschen Wort «Bonbon».

Die faszinierende Sprachvielfalt zwischen Dialekt und Amtssprache
In der Schweiz ist die Sprachvielfalt beeindruckend.
Deutsch ist die meistgesprochene Sprache,
aber man muss wissen, dass es sich nicht
um eine einheitliche Sprache handelt.
Stattdessen gibt es eine Vielzahl von Dialekten,
die zusammen als "Schweizerdeutsch" anerkannt werden.
Diese Dialekte variieren je nach Ort und Umgebung.
Die Schweiz ist offiziell ein mehrsprachiges Land
mit vier Amtssprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch
und Rätoromanisch, wobei Rätoromanisch langsam ausstirbt.
Es ist faszinierend zu sehen, wie sich diese
Sprachen in unterschiedlichen
Teilen der Schweiz niedergelassen haben
und wie sie die Identität der einzelnen Regionen widerspiegeln.
Trotz der Dominanz von Deutsch sind Fremdsprachen
in der Schweiz weit verbreitet. Besonders Englisch
und Portugiesisch sind sowohl im Bildungswesen als auch
im geschäftlichen und gesellschaftlichen Leben von Bedeutung.
Diese Sprachen spielen eine wichtige Rolle
in der globalen Vernetzung der Schweiz und fördern
den Austausch mit anderen Ländern und Kulturen.
Weiter interessant ist, dass etwa
ein Viertel der Bevölkerung eine Sprache spricht,
die nicht zu den Amtssprachen gehört.
Diese Vielfalt zeigt die Offenheit gegenüber den Sprachen.
Man sieht nicht die Nachteile, die dies mit sich bringt,
sondern die positiven Aspekte und was man damit alles erreichen kann.
Schweizerdeutsch wie auch das schweizerische Italienisch
sind besonders reich an verschiedenen Dialekten.
So hat die doch so kleine Schweiz die Möglichkeit,
ein einzelnes Wort auf 100 verschiedene Arten auszusprechen.
Qualitativ oder quantitativ
Bei der quantitativen Methode der Dialektforschung ist das Ziel, möglichst viele Personen zu befragen. Die qualitative Methode liefert weniger Ergebnisse, jedoch sind diese um einiges genauer als die der quantitativen. In der vorliegenden Reportage wenden wir deshalb eine qualitative Methode an. Die Leute werden nämlich nicht direkt gefragt, wie sie die Wörter aussprechen, sondern gebeten, die Wörter in einem Satz zu verwenden, sodass der Schwerpunkt aus Sicht der Befragten nicht auf der Aussprache der Wörter liegt. Das hat zur Folge, dass die Proband*innen nicht lange überlegen, wie sie das besagte Wort aussprechen.
Die Befragung führen wir folgendermassen durch: Die Versuchspersonen werden gebeten, eine Geschichte zu lesen, in der die Begriffe vorkommen, die sie auf den verschiedenen Bildern erkennen. Als Ergebnis erhalten wir eine Geschichte, in der die Wörter so vorkommen, wie die Personen sie in ihrem Alltag verwenden. Der Grund, weshalb wir eine qualitative Methode auswählen, ist, dass wir nur drei Wörter untersuchen und nicht mehrere hundert. Durch die Befragung von rund 50 Personen unterschiedlichen Alters haben wir ein Bild davon erhalten, wie sich Sprache entwickelt und welche Faktoren dazu beitragen. Unsere Reportage verdeutlicht, dass Dialekte nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch ein wichtiger Teil des kulturellen Erbes sind, das es zu bewahren gilt.
Reise Durch die Dialektlandschaften der Schweiz von Yannick Gerber und Pascal Mewes